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Hiddensee – Ort zum Nachdenken

Letzte Woche hatten Esther und ich die Möglichkeit, wieder ein paar Tage auf der Insel Hiddensee zu verbringen. Wir haben dort ein Lieblingsrestaurant – das Essen ist sehr gut, die Bedienung freundlich und effizient, die Preise sind moderat. Nach einem schönen Abendessen bedankten wir uns beim Personal für das leckere Essen und den tollen Service. Wir waren sehr überrascht über die Reaktion. Die Leute bedankten sich bei uns und ergänzten dann: „Wenn ihr wüsstet, wie viele unmögliche Leute hierher kommen, die wegen absoluter Kleinigkeiten ein riesiges Fass aufmachen, ja sogar beleidigend werden.“

Das hatten wir dort nicht erwartet, aber leider hat sich inakzeptables Verhalten überall hin ausgebreitet und stellt Menschen, die damit konfrontiert werden, vor große Herausforderungen.

Der deutsche Philosoph Richard David Precht hat sich in seinem Buch „Von der Pflicht “ mit dem Phänomen der Entsolidarisierung in der Gesellschaft beschäftigt. Ich stimme sonst mit vielen seiner Meinungen nicht überein, aber seine Feststellung, dass sich viele Menschen immer mehr als „Kunden“ des Staates aufführen, die mit Vehemenz ihre Rechte einfordern, aber von Pflichten und Rechenschaftspflicht nichts mehr hören wollen, entspricht 100%ig den Tatsachen. Das betrifft nicht nur den Staat, sondern es ist Ausdruck einer Haltung, deren Basis Egoismus ist und die ihr Unwesen in allen Lebensbereichen treibt.

Auch innerhalb der Kirche bleiben wir leider von diesem Phänomen nicht verschont. Sicher haben wir es nicht in dem Ausmaß, aber die Welt färbt ab.

Der wahre Charakter eines Menschen zeigt sich bekanntlich dann, wenn eigene Erwartungen nicht erfüllt werden (können oder sollten) und man mit Enttäuschung umgehen muss oder eben auch mit dem eigenen Stolz. Er zeigt sich auch in der Art und Weise wie jemand zu Selbstreflexion fähig ist.

Wie hat es Jesus Christus so schön gesagt:

„Richtet nicht, damit ihr nicht auch gerichtet werdet!
Denn mit demselben Gericht (oder: Urteil), mit dem ihr richtet, werdet ihr wieder gerichtet werden, und mit demselben Maße, mit dem ihr messt, wird euch wieder gemessen werden.
Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht wahrnimmst?
Oder wie darfst du zu deinem Bruder sagen: ‘Lass mich den Splitter aus deinem Auge ziehen’? und dabei steckt der Balken in deinem Auge!
Du Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, dann magst du zusehen, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest.“

(siehe Neues Testament, Matthäus 7:1-5)

Genauso tragisch ist es, dass durch unreflektierte Kritik, häufig aus nichtigen Gründen, zwischenmenschliche Beziehungen verdorben, Positionen verhärtet, Lösungen erschwert werden und die seelische Gesundheit der Beteiligten strapaziert wird.

Jesus Christus hat weiterhin gesagt:

„Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater sie auch euch vergeben;
wenn ihr sie aber den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater euch eure Verfehlungen auch nicht vergeben.”

(siehe Neues Testament, Matthäus 6:14-15)

Die Missachtung dieser beiden Prinzipien ist nicht nachhaltig. Sie produziert unweigerlich Probleme und führt zur Eskalation von Konflikten, die im schlimmsten Fall nicht mehr zu beherrschen sind.

Es ist nicht leicht, sich an die Lehren des Evangeliums in ihrem vollen Umfang zu halten und sich dem Druck säkularer Doktrin nicht zu beugen, insbesondere dann nicht, wenn sie mit dem 13. Glaubensartikel nicht in Einklang zu bringen ist. Wir neigen manchmal zu einer selektiven Anwendung, je nach eigenen Vorlieben und verfehlen damit den Punkt, dass Gottes Plan der Erlösung ganzheitlich und mit ewigen Perspektiven ausgestattet ist.

„Wir glauben, dass es recht ist, ehrlich, treu, keusch, gütig und tugendhaft zu sein und allen Menschen Gutes zu tun;  ja, wir können sagen, dass wir der Ermahnung des Paulus folgen – wir glauben alles, wir hoffen alles, wir haben viel ertragen und hoffen, alles ertragen zu können. Wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist, so trachten wir danach.“
(Köstliche Perle, 13. Glaubensartikel)

Vor 43 Jahren hat der an Leukämie verstorbene Apostel Neal A. Maxwell an der Brigham Young University eine Rede gehalten, die den Titel „Meeting the Challenges of Today“ oder auf gut deutsch „Die Herausforderungen von heute meistern“ trägt und die man getrost in Hinblick auf die thematisierten Herausforderungen als prophetisch bezeichnen kann. Ich bin durch einen Beitrag in sozialen Medien darauf aufmerksam geworden. Die komplette Rede findet sich hier:

Meeting the Challenges of Today

Eine vollständige Übersetzung der Rede würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, aber einige Passagen möchte ich an dieser Stelle noch einfügen:

„Zur Jüngerschaft gehört auch eine gute Staatsbürgerschaft; und wenn Sie in diesem Zusammenhang die Erklärungen der modernen Propheten aufmerksam studieren, wird Ihnen aufgefallen sein, dass mit wenigen Ausnahmen – vor allem, wenn die Erste Präsidentschaft sich geäußert hat – die geäußerten Bedenken moralische Fragen betrafen, nicht Fragen zwischen politischen Parteien. In den Erklärungen geht es um Prinzipien, nicht um Personen, und um Ursachen, nicht um Kandidaten. …

Aber täuschen Sie sich nicht, Brüder und Schwestern; in den kommenden Monaten und Jahren werden die Ereignisse von jedem Mitglied verlangen, dass es sich entscheidet, ob es der Ersten Präsidentschaft folgen wird oder nicht. Für die Mitglieder wird es schwieriger werden, länger zwischen zwei Meinungen zu verharren (siehe 1. Könige 18:21).

Präsident Marion G. Romney sagte vor vielen Jahren, dass er „nie gezögert hat, dem Rat der Autoritäten der Kirche zu folgen, auch wenn er mein gesellschaftliches, berufliches oder politisches Leben durchkreuzte“ (CR, April 1941, S. 123). Das ist eine harte Lehre, aber es ist eine besonders wichtige Lehre in einer Gesellschaft, die immer verruchter wird. Kurz gesagt, Brüder und Schwestern, sich des Evangeliums Jesu Christi nicht zu schämen, schließt ein, sich der Propheten Jesu Christi nicht zu schämen. Wir treten jetzt in eine Zeit unglaublicher Ironien ein. Lassen Sie uns nur eine dieser Ironien anführen, die sich noch in ihren subtilen Stadien befindet: Wir werden in unserer Zeit ein maximales, wenn auch indirektes Bemühen sehen, die Irreligion als Staatsreligion zu etablieren. Es ist tatsächlich eine neue Form des Heidentums, die die sorgfältig bewahrten und kultivierten Freiheiten der westlichen Zivilisation benutzt, um die Freiheit einzuschränken, während sie die Wertessenz unseres reichen jüdisch-christlichen Erbes ablehnt. …

In Ihrer Nachfolge könnte die Zeit kommen, in der religiöse Überzeugungen stark abgewertet werden. Auch M. J. Sobran beobachtete: „Eine religiöse Überzeugung ist jetzt eine Überzeugung zweiter Klasse, von der erwartet wird, dass sie respektvoll hinten in den säkularen Bus einsteigt und sich nicht darüber aufregt“ (Human Life Review, Sommer 1978, S. 58). Dieser neue irreligiöse Imperialismus versucht, bestimmte Meinungen von Menschen zu verbieten, nur weil diese Meinungen aus religiösen Überzeugungen erwachsen. Widerstand gegen Abtreibung wird bald als primitiv angesehen werden. Die Sorge um die Institution der Familie wird als unmodern und unaufgeklärt angesehen. In ihrer mildesten Form wird die Irreligion lediglich herablassend gegenüber denjenigen sein, die an traditionellen jüdisch-christlichen Werten festhalten. In ihren härteren Formen wird die säkulare Kirche, wie immer bei denjenigen, deren Dogmatismus blind macht, alles tun, um den Einfluss derjenigen zu verringern, die sich immer noch um Normen wie die der Zehn Gebote sorgen. Es ist immer ein so leichter Schritt vom Dogmatismus zum unfairen Spiel – besonders dann, wenn die Dogmatiker glauben, es mit primitiven Menschen zu tun zu haben, die nicht wissen, was das Beste für sie ist. …

Wenn wir eine säkulare, von traditionellen und göttlichen Werten entblößte Kirche entstehen lassen, wo sollen wir dann in den Krisen von morgen Inspiration finden? Können wir uns auf die Richtigkeit einer bestimmten Regelung berufen, um uns in den Stunden der Not zu unterstützen? Werden wir in der Lage sein, Schutz unter einem Ersten Zusatzartikel zu suchen, der bis dahin vielleicht verdreht wurde, um Irreligion zu begünstigen? Werden wir uns zur Gegenwehr auf die Werteerziehung in Schulsystemen verlassen können, die zunehmend säkularisiert sind? Und wenn unsere Regierungen und Schulen uns im Stich lassen, werden wir dann auf die Institution der Familie zurückgreifen können, wenn so viele säkulare Bewegungen versuchen, sie zu zerschreddern? …

Es kann gut sein, dass in unserer Zeit, in der wir „Schande für seinen Namen erleiden“ (Apostelgeschichte 5,41), ein Teil dieser besonderen Betonung aus dem Teil der Nachfolge erwächst, der die Staatsbürgerschaft beinhaltet. Denken Sie daran, dass wir, wie Nephi und Jakob sagten, lernen müssen, „die Kreuze der Welt“ (2 Nephi 9:18) zu ertragen und doch „die Schande [derselben]“ (Jakob 1:8) zu verachten. Sich weiterhin an die eiserne Stange zu klammern, trotz des Spottes und der Verachtung, die uns von den Menschenmassen in jenem großen und geräumigen Gebäude entgegenströmen, das Vater Lehi gesehen hat und das der „Stolz der Welt“ ist, heißt, die Schandtaten der Welt nicht zu beachten (1 Nephi 8:26-27, 33; 11:35-36). Parenthetisch gefragt: Warum – wirklich warum – beobachten die Ungläubigen, die dieses geräumige Gebäude säumen, so aufmerksam, was die Gläubigen tun? Sicherlich gibt es für die Verächter andere Dinge zu tun – es sei denn, tief in ihrem scheinbaren Desinteresse steckt ein Interesse. …

Wenn die Herausforderung der säkularen Kirche sehr real wird, lasst uns, wie in allen anderen menschlichen Beziehungen, prinzipientreu, aber angenehm sein. Lasst uns scharfsinnig sein, ohne pompös zu sein. Lasst uns Integrität haben und nicht mit unserer Zunge Schecks ausstellen, die unser Verhalten nicht einlösen kann. …“
(Übersetzung mit deepl.com, Anpassungen vom Verfasser)

Es braucht etwas Ruhe und Harmonie, um sich in diese Dinge vertiefen zu können. Aber es lohnt sich.

Hiddensee 2020

Esther und ich hatten das große Glück, dass wir unser jährliches Pfingstwochenende wieder auf der Insel Hiddensee verbringen konnten. Hiddensee ist für uns ein Ort, an dem wir Ruhe und Balance finden.

Sobald wir das Auto auf der Insel Rügen abgestellt haben und auf der Fähre sind, fallen jede Menge Ballast, Sorgen und Ärger ab. Sie verschwinden nicht, aber wir gewinnen eine bessere Perspektive auf sie. Das kann sehr heilsam sein und helfen, der Komplexität im Leben zu begegnen.

Natürlich gab es Einschränkungen z.B. keine der grandiosen Theathervorstellungen in der Seebühne oder diverse Konzerte, aber wir haben, was sehr wohltuend war, sehr rücksichtsvolle und bedachte Menschen getroffen. Man braucht dort nicht viel, um zufrieden zu sein.

Auf unseren Wanderungen und Radtouren habe ich diesmal ein paar 5-Minuten Skizzen gemacht. Es hat mich an die Zeit vor bald 40 Jahren erinnert, als ich das regelmäßig getan habe. Da ich kein Skizzenbuch dabei hatte, habe ich es mal auf dem Handy versucht. 🙂

Die Ruhe hat uns auch geholfen, über den eigentlichen Zweck, weshalb Pfingsten gefeiert wird, nachzudenken und zu reflektieren, was es uns bedeutet.

Hiddensee

Jedes Jahr verbringe ich mit meiner Frau ein paar Tage auf der Insel Hiddensee.
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Es grenzt schon an Zelebration – Auto in Schaprode abstellen, bepackt zum Fährhafen laufen, Fähre nach Vitte nehmen, Fahrräder ausleihen und sich dann zum Quartier durchschlagen. Wir lieben die Atmosphäre dort, die Natur und die Ruhe.
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Du siehst Leute, die ihr Gepäck in zweirädrigen Handkarren schieben oder die Fahrradlenker mit Reisetaschen behängen. Die dazu keine Lust haben, gehen zu Fuss oder lassen sich vom Pferdewagen abholen. Damit ist das Tempo auf Hiddensee definiert. Die schnellsten sind einheimische Rentnerinnen mit E-Bikes. Irgendwie tickt die Zeit dort noch etwas anders, gemächlicher. Wir können dort ganz wunderbar entspannen.
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Mit den Jahren entwickelt man an solchen Orten bestimmte Rituale. Das sind kleine, unspektakuläre Dinge, die für besondere Glücksgefühle sorgen. Zum Beispiel mit dem Rad über die holprigen Betonplatten zum Enddorn fahren und am Strand wandern, gucken was sich seit dem letzten Jahr verändert hat, auf der „Shoppingmeile“ in Kloster flanieren, die Stufen der Treppe vom Strand hoch zum Klausner zählen, Grillfest samstags in der Heiderose, natürlich den Leuchtturm hoch und nach Dänemark schauen, das Haus in dem Albert Einstein mal gewohnt hat entdecken, frischen Fisch essen, Softeis am Hafen in Neuendorf oder einfach nur am Meer sitzen und lesen. Und vieles mehr. Herrlich.
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Wir meiden die Saison und fahren entweder Pfingsten oder dieses Jahr spät im Oktober mit Tochter und Enkelin. Habe früh beim Joggen zwischen Vitte und Kloster höchstens ein, zwei Leute getroffen. Ein verlängertes Wochenende reicht uns schon, um den Erholungseffekt zu spüren.
In Vitte gibt es eine kleine Buchhandlung, in der wir uns jedes Jahr mindestens ein Buch kaufen. Der Raum hat Wohnzimmergröße. Es gibt keine Kasse. Eine ältere Dame schreibt alle Einnahmen und Buchtitel in ein Heft.  Mehrere Artikel werden schriftlich zusammengerechnet. Da muss man einfach hin. Dieses Jahr habe ich mir die Biographie von Marie Curie, geschrieben von ihrer Tochter Eve gekauft. Physik und Chemie gehörten in Schule und Studium zu meinen Lieblingsdisziplinen, wobei mich die Lebensgeschichten vieler Forscher genauso interessiert haben, wie die Naturwissenschaften. Das Buch hat mich enorm beeindruckt. Ich kannte Marie Curie´s Geschichte schon ein bisschen, aber das ganze Ausmaß ihrer Leistungen, Hingabe und Selbstlosigkeit, ihr völliges Desinteresse an Ruhm und Ehre, die Kongenialität mit ihrem Mann Pierre und die Trägödie seines frühen Todes sowie ihr Genie und das tatsächliche Ausmaß ihrer Entdeckungen sind mir erst jetzt bei der Lektüre des Buches klar geworden.
Ich freue mich jetzt schon auf nächstes Jahr – auf den Buchladen und die vielen anderen kleinen, speziellen Dinge auf dieser besonderen Insel, wo es keiner Ferienanimationen bedarf und die meisten Leute völlig entspannt sind 🙂
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Gerhart Hauptmann über Hiddensee – wie wahr 🙂