Transkript vom 28.04.2024

Für meinen letzten Beitrag zum „Wort zum Tage“ beim Deutschlandfunk Kultur habe ich die Gedanken aus einem früheren Blogpost (siehe https://thomashengst.com/2024/03/30/ostern-und-der-kern-der-sache/) noch etwas weitergedacht. Aus den Reaktionen kann ich sehen, dass dieses Thema viele Menschen bewegt, die sich Sorgen um die Zukunft unserer Gesellschaft machen.

Hier ist mein Text vom 28.04.2024 und darunter der Link zur Audiothek des DLF:

In den ersten Jahren meines Berufslebens war ich in der Softwareentwicklung tätig. Dabei musste ich lernen, den Problemen auf den Grund zu gehen, um zu verhindern, dass durch Oberflächlichkeit bei der Behebung eines Fehlers, mehrere neue Fehler entstehen. Auf das Leben bezogen, kann es sehr unbequem und mühsam sein, bis zum Kern einer Sache vorzudringen, die Folgen von Entscheidungen und Taten bis zum Ende genau zu bedenken und dafür die Verantwortung zu übernehmen.

Die Prinzipien von Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein bei der Erkenntnisgewinnung und bei Entscheidungen laufen Gefahr, in unserer Gesellschaft mehr und mehr auf Kosten der Popularität oder schnellen Befriedigung von Bedürfnissen verlorenzugehen – mit schwerwiegenden Folgen.

Im Johannesevangelium lesen wir, dass Jesus eines Tages 5000 Menschen speiste. Dieses Wunder, das keine Gegenleistung erforderte, begeisterte die Menge enorm. Jesus kam jedoch bald zum Kern der Sache:

Ich will euch sagen, warum ihr mich sucht: Ihr sucht mich nur, weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Aber was Gott euch durch die Wunder sagen will, wollt ihr nicht verstehen. Statt euch nur um vergängliche Nahrung zu kümmern, bemüht euch um die Nahrung, die Bestand hat und das ewige Leben bringt.‘ (Johannes 6:26-27)

Es ist ein großer Irrtum, dass eine Gesellschaft sich zum Besseren entwickelt, wenn ihr grundlegende Verantwortungen abgenommen oder als nicht mehr notwendig erachtet werden. Wenn wir uns jedoch bemühen, die Perspektiven auf unser Leben zu erweitern und sorgfältig zum Kern unserer Probleme vordringen, wird sich unser Verständnis erweitern und unser Verhalten positiv verändern.

Solche Verantwortungen betreffen unter anderem den Frieden und Zusammenhalt in der Gesellschaft, den Schutz des Lebens, die wertebasierte Erziehung und Sozialisierung von Kindern durch ihre Eltern, die Stärkung von Resilienz und Empathiefähigkeit durch die Vermeidung destruktiver Gewohnheiten, die Fürsorge für die Schwachen und Kranken, sowie die Achtung vor allen Menschen und der Schöpfung Gottes.

Eine bessere und widerstandsfähigere Gesellschaft beruht darauf, dass die große Mehrheit der Menschen bereit ist, die erforderliche Arbeit dafür zu leisten, bis zum Ende zu denken und dadurch mehr nachhaltige Freude im Leben zu empfinden.“

https://www.deutschlandfunkkultur.de/wort-zum-tage-kirche-jesu-christi-der-heiligen-der-letzten-tage-dlf-kultur-9e846883-100.html

Es ist beunruhigend zu beobachten, wenn Personen, die versuchen einen Staat, eine Organisation, Unternehmen oder eine Familie zu lenken, dies ohne die notwendige Weitsicht tun. Wir erleben, dass Entscheidungen getroffen werden, die vermeintlich ein Problem adressieren. Wenn die Ursachen jedoch nur oberflächlich betrachtet und die Folgen nicht sorgfältig bis zu Ende gedacht werden, laufen wir Gefahr, dass eine große Anzahl neuer Probleme entstehen, deren Lösungen immer komplexer werden.

So liegt es zum Beispiel auf der Hand, dass die Legalisierung von Drogen nur ein Hotfix ist, der die Ursachen des Problems nicht wirklich angeht. Die Lösung des Problems besteht darin, dass Menschen ihre Gewohnheiten ändern und sich nicht in Abhängigkeiten begeben, die ihre Resilienz erheblich beeinträchtigen können. Spätestens jetzt wird die Komplexität des Problems, aber auch die Naivität des Hotfixes erbarmungslos sichtbar.

Ein anderes Beispiel ist die Vergesellschaftung der Erziehung und Sozialisierung heranwachsender Generationen, unter dem Hintergrund von Zwängen der Arbeitswelt, mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und einer höheren Produktivität der Menschen, die eigentlich die Hauptverantwortung tragen. Die Nachteile dieser Entwicklung sind sehr offensichtlich (Demographie, Einsamkeit, Vernachlässigung, soziale Probleme von Alleinerziehenden, Verantwortungslosigkeit, Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Empathieverlust, Spaltung der Gesellschaft, Angst vor der Zukunft, Identitätsunsicherheit, nachlassende Resilienz etc.). Es ist aber auch klar, dass diese Probleme ganzheitlich angegangen werden müssten. Dies geschieht eindeutig nicht, denn die notwendigen Maßnahmen sind nicht bequem und erfordern in vielen Fällen ein Umdenken und Verhaltensänderungen.

Die Aufzählung ließe sich noch umfangreich fortsetzen und führt uns zu unbequemen Fragen.

Gibt es in der modernen westlichen Gesellschaft überhaupt noch genügend Interesse, Kraft und Führung, sich an solchen Werten zu orientieren, die ein nachhaltiges und erfolgreiches Zusammenleben ermöglichen?

Meiner Meinung nach gibt es immer noch in vielen Menschen diese wunderbare Kraft zur positiven Veränderung, aber sie wird spürbar relativiert, in Frage gestellt und geschwächt. Das Paradoxe ist, dass der Jammer über gesellschaftliche Missstände gefühlt immer größer und die Verantwortung dafür oft abgewälzt wird.

In einer kürzlich ausgestrahlten Sendung von „Music and the Spoken Word“ hat der Sprecher Lloyd Newel einen Teil dieses Themas sehr treffend beschrieben:

In our modern world, it’s so easy to indulge in pleasure. Our great-grandparents had to spend most waking moments with countless backbreaking chores just to survive, but today many of those tasks don’t burden us anymore. We are more free than ever before to seek entertainment, to do what we want to do, go where we want to go, and eat what we want to eat, all without a lot of effort.
You might think we would be happier than previous generations. Then why aren’t we?

Stanford psychiatrist Anna Lembke explains that our brains are constantly seeking to balance pleasure and discomfort. When it takes hard work to achieve pleasure, everything stays in balance. But when pleasure comes too easily, “our [brain] will work very hard to restore a level balance. … In our brain’s effort to compensate for too much pleasure,” it stops producing pleasure hormones.[1] In other words, when we chase pleasure too much, without purpose, without effort, without meaningful work, we end up feeling empty and unhappy.

In contrast, when we engage in more difficult but purposeful activities, we balance our brain’s chemistry. This is why we feel better after the strain of exercising a bit, solving a difficult puzzle, or talking with someone we don’t know. That kind of satisfying happiness often comes after we’ve paid the price of effort, concentration, and sacrifice. …

This actually isn’t a new concept. More than 2,000 years ago, the Lord Jesus Christ similarly taught that true happiness is not found in pursuing pleasure but rather by doing something worthwhile for someone else. He said, “Whosoever will save his life shall lose it: and whosoever will lose his life for my sake shall find it.”[2] Pleasure and work, joy and sacrifice are not enemies but companions in our search for soul-satisfying happiness.“

[1] Anna Lembke, in Shankar Vedantam, “The Paradox of Pleasure,” Hidden Brain (podcast), hiddenbrain.org/podcast/the-paradox-of-pleasure.

[2] Matthew 16:25.

(https://www.thetabernaclechoir.org/april-14-2024-episode-4935?lang=eng)

Auf gut Deutsch also:

In unserer modernen Welt ist es so einfach, sich dem Vergnügen hinzugeben. Unsere Urgroßeltern mussten die meisten wachen Momente mit zahllosen knochenbrechenden Aufgaben verbringen, nur um zu überleben, aber heute belasten uns viele dieser Aufgaben nicht mehr. Wir sind freier als je zuvor, uns Unterhaltung zu suchen, zu tun, was wir tun wollen, zu gehen, wohin wir gehen wollen, und zu essen, was wir essen wollen, und das alles ohne große Anstrengung.
Man könnte meinen, wir wären glücklicher als frühere Generationen. Warum sind wir es dann nicht?

Die Stanford-Psychiaterin Anna Lembke erklärt, dass unser Gehirn ständig versucht, Vergnügen und Unbehagen ins Gleichgewicht zu bringen. Wenn es harte Arbeit erfordert, um Vergnügen zu erreichen, bleibt alles im Gleichgewicht. Aber wenn Vergnügen zu leicht kommt, „wird unser [Gehirn] sehr hart daran arbeiten, ein Gleichgewicht wiederherzustellen. … In dem Bemühen unseres Gehirns, zu viel Vergnügen zu kompensieren“, hört es auf, Lusthormone zu produzieren. Mit anderen Worten: Wenn wir dem Vergnügen zu sehr nachjagen, ohne Ziel, ohne Anstrengung, ohne sinnvolle Arbeit, fühlen wir uns am Ende leer und unglücklich.

Wenn wir uns dagegen schwierigeren, aber sinnvollen Aktivitäten widmen, bringen wir die Chemie unseres Gehirns ins Gleichgewicht. Deshalb fühlen wir uns nach der Anstrengung, ein bisschen Sport zu machen, ein schwieriges Rätsel zu lösen oder mit jemandem zu sprechen, den wir nicht kennen, besser. Diese Art von befriedigendem Glück stellt sich oft ein, nachdem wir den Preis für Anstrengung, Konzentration und Opfer bezahlt haben. …

Das ist eigentlich kein neues Konzept. Vor mehr als 2.000 Jahren lehrte der Herr Jesus Christus in ähnlicher Weise, dass wahres Glück nicht durch das Streben nach Vergnügen, sondern vielmehr dadurch zu finden ist, etwas Sinnvolles für jemand anderen zu tun. Er sagte: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; und wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.“ Vergnügen und Arbeit, Freude und Aufopferung sind keine Feinde, sondern Gefährten auf unserer Suche nach seelenbefriedigendem Glück.“

Es steht fest, dass der Wille und die Fähigkeit, zum Kern der Sache vorzudringen und daraus persönliche Entscheidungen und Verantwortungen abzuleiten, die sich in der Regel nicht nur auf uns, sondern auf viele Menschen um uns herum, darunter auch auf ungeborenes Leben, auswirken, von der Perspektive, die wir auf unser Leben haben und welchen Sinn wir ihm geben wollen, abhängen. Die Unterschiede können gigantisch sein – nicht nur im Denken, sondern vor allem in den Konsequenzen.

Ich möchte es gern mit den ewigen Perspektiven halten, die mit dem praktizierten Glauben an Jesus Christus einhergehen.

Dazu möchte ich noch einmal die drei grundlegenden Wahrheiten aus meinem oben verlinkten Blogpost wiederholen:

Die erste Wahrheit ist: Jeder von uns wird sterben.

Die zweite Wahrheit ist: Durch Jesus Christus wird jeder von uns auferstehen und unsterblich.

Und die dritte Wahrheit ist: Jeder von uns wird den Erretter treffen und mit ihm über unser Leben sprechen.
„Denn siehe, dieses Leben ist die Zeit, da der Mensch sich vorbereiten soll, Gott zu begegnen; ja, siehe, der Tag dieses Lebens ist der Tag, da der Mensch seine Arbeiten verrichten soll.
Und nun, wie ich euch schon zuvor gesagt habe, da ihr so viele Zeugnisse habt, deshalb flehe ich euch an, den Tag eurer Umkehr nicht bis zum Ende aufzuschieben; denn nach diesem Tag des Lebens, der uns gegeben ist, damit wir uns auf die Ewigkeit vorbereiten, siehe – wenn wir unsere Zeit während dieses Lebens nicht nutzbringend anwenden, dann kommt die Nacht der Finsternis, in der keine Arbeit verrichtet werden kann.“ (Buch Mormon, Alma 34:32-33)

Die Antwort auf jede Frage des Lebens ist im Leben und in den Lehren von Jesus Christus zu finden. Die Welt braucht also nicht weniger davon, sondern mehr.

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