Vor einigen Wochen haben meine Frau und ich eine Wanderung auf die Steinplatte in der Nähe von Kitzbühel in Österreich unternommen.
Vom Gipfel hatten wir einen grandiosen Ausblick in alle Himmelsrichtungen. Im Norden konnten wir den Chiemsee sehen,

im Süden den gesamten Alpen-Hauptkamm mit Großglockner und Großvenediger, das Kitzbühler Horn und die Loferer Steinberge,

nach Osten den Watzmann und weitere Berge im Salzburger Land

sowie nach Westen den Wilden Kaiser und viele weitere Gipfel des Allgäu und in Tirol.

Es war erhebend, trotz des etwas rauhen Wetters.

Beim Verarbeiten der Eindrücke musste ich daran denken, wie wichtig Weitsicht in unserem Leben und für unsere Entscheidungen ist.
Weitsicht ist ein rares Gut im politischen und gesellschaftlichen Diskurs, den wir zur Zeit erleben. Dabei ist es logisch, dass eine übermäßige Betonung von Individualismus und eine Ausrichtung auf möglichst schnelle Befriedigung eigener Bedürfnisse mit Weitsicht und Nachhaltigkeit oft nicht kompatibel sind. Der Blick für das Große und Ganze und das allgemeine Wohl kann da schnell verloren gehen, genauso auch die Fähigkeit, sich objektiv und umfassend zu informieren und daraus Schlussfolgerungen nicht nur für sich selbst zu ziehen.

Wütende Kritiker haben in der Regel keine nachhaltigen Lösungen zu bieten und suchen lieber Schuldige für ihr Unbehagen anstatt den ernsthaften Versuch zu unternehmen, sich auf eine Ebene zu begeben, die ein weitsichtigeres Überdenken des eigenen Verhaltens ermöglicht.
Das betrifft nicht nur die Pandemie, die nur das Präludium für kommende gesellschaftliche Herausforderungen ist, die uns zweifellos ereilen werden, weil sich die Gesetze von Ursache und Wirkung nicht einfach außer Kraft setzen lassen. Wir sollten davon ausgehen, dass solche Herausforderungen noch viel fordernder sein werden, als das, was wir zur Zeit kennen, besonders wenn sie auf eine durch Unvernunft zutiefst gespaltene Gesellschaft treffen.

Wird unsere Werte relativierende Gesellschaft in Zukunft in der Lage sein, einsichtig, weitsichtig, umfassend rücksichtsvoll und einig zu handeln? Wie werden wir in Zukunft absolut richtige, mit Unsicherheiten behaftete, falsche und komplett absurde Informationen voneinander unterscheiden und mit Sachverstand verarbeiten können? Werden Entscheidungsträger (das sind auch wir) nicht nur intellektuelle Arbeit, sondern auch die geistige Arbeit leisten, die erforderlich ist, um inspirierte Entscheidungen zu treffen, die wir so schmerzlich vermissen?

Was bedeutet es, geistige Arbeit zu leisten, die zu einer größeren Weitsicht führt? Für mich ist dieser Anspruch untrennbar mit der Entwicklung einer engen Beziehung zu Gott verbunden.
Zur Zeit lese ich die Ansprachen der letzten Generalkonferenz unserer Kirche (siehe App Archiv Kirchenliteratur oder unter https://www.churchofjesuschrist.org/study/general-conference/2021/10?lang=deu). Oft denke ich, wie wünschenswert es wäre, wenn alle, die an Entscheidungen arbeiten, egal wie bedeutend sie sein mögen, sich von dem, was da gesagt und geschrieben wurde, inspirieren lassen. Wie wäre es wohl, wenn die Menschen, die sich anschicken, unser Land zu regieren, das tun würden?

Das ist aber nicht alles. Vor einigen Wochen, habe ich von unserer Pfahlkonferenz in Leipzig einige Aussagen vom Präsidenten unserer Kirche, Russell M. Nelson, mitgenommen, die dankenswerterweise von Helmut Wondra (Vielen Dank!) aus Wien zitiert wurden. Sie beschreiben, wie diese geistige Arbeit aussehen sollte, damit tatsächlich eine Verbindung zu unserem Vater im Himmel durch das Wirken des Heiligen Geistes entstehen kann. Hier die Zitate mit ein paar Kommentaren (nicht fettgedruckt) von mir:
„Es wird in den künftigen Tagen nicht möglich sein, ohne den führenden, leitenden, tröstenden und steten Einfluss des Heiligen Geistes geistig zu überleben.
Ich bitte Sie inständig, Ihre geistige Fähigkeit, Offenbarung zu empfangen, auszubauen.
Entscheiden Sie sich, die geistige Arbeit zu leisten, die nötig ist, damit Sie sich der Gabe des Heiligen Geistes erfreuen können und die Stimme des Geistes häufiger und klarer vernehmen. …
Wie wir uns qualifizieren
Nichts öffnet den Himmel schneller als eine Kombination aus
- vermehrter Reinheit, (es geht prinzipiell darum, wie rechtschaffen unsere Gedankenwelt und die daraus resultierenden Handlungen sind, wie stark sie in Einklang mit Gott sind)
- exaktem Gehorsam, (exakt heißt nicht blind, es heißt aber definitiv nicht cherry picking – nur das zu wählen, was mir passt)
- täglichem Weiden an den Worten von Christus im Buch Mormon (das schließt natürlich andere Schriften nicht aus, aber das Buch hat schon eine besondere Kraft)
- einem regelmäßigen Termin, der für Tempelarbeit und Familienforschung reserviert ist. (das ist die Kraft, die Generationen verbinden kann)
Wie wir empfangen
- Finden Sie einen ruhigen Ort, den Sie aufsuchen können.
- Demütigen Sie sich vor Gott.
- Schütten Sie vor dem Vater im Himmel ihr Herz aus. Wenden Sie sich an ihn, um Antworten und Trost zu finden.
- Beten Sie im Namen Jesu Christi über ihre Sorgen, Ihre Ängste, Ihre Schwächen, ja, auch die Sehnsüchte Ihres Herzens.
- Und dann hören Sie zu.
- Notieren Sie sich die Gedanken, die Ihnen in den Sinn kommen. Schreiben Sie Ihre Gefühle auf
- und setzen Sie das, was Ihnen eingegeben wird, in die Tat um.
- Wenn Sie immer wieder so vorgehen, Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr, werden Sie in das Prinzip Offenbarung hineinwachsen.“

Wir betrachten Präsident Nelson als Prophet Gottes. Wenn wir uns in den Schriften sorgfältig anschauen, wie bereitwillig das Wort zeitgenössischer Propheten in ihren jeweiligen Epochen angenommen wurde, können wir sehen, dass die Menschen immer dann selektiv und oft feindselig damit umgegangen sind, wenn sie ihre persönlichen Vorlieben verletzt sahen. Wir lernen aus dieser Analyse aber auch, dass sich diese Menschen in der Regel aus Mangel an Weitsicht und einem Übermaß an Eigenstolz geirrt haben, oft mit dramatischen Folgen. Das sehen wir auch in der Gegenwart. Und es ist immer noch unklug.
Wir brauchen in diesen Zeiten ein viel größeres Maß an Weitsicht, damit wir komplexe Probleme nachhaltig bearbeiten und uns zuverlässiger vor Irrtümern, ideologischen Verbrämungen, der Ausbreitung von menschenverachtenden Verhaltensweisen oder abstruser Ignoranz schützen bzw. diesen entgegenwirken können. Dazu ist mehr und sorgfältigere intellektuelle und geistige Arbeit vonnöten.
