Verantwortung macht den Unterschied

Ich wollte eigentlich keinen Corona-Blog schreiben. Man wird aber in diesen Tagen mit so viel Spam zum Thema geflutet, dass man sich sagt: Leute denkt doch bitte mal etwas mehr nach, bevor ihr euch auf irgendeine Seite schlagt. Wir haben es hier mit einem komplexen, vielschichtigen Problem zu tun. Da gebietet es doch die Vernunft, dass man das Thema ausgewogen und aus möglichst vielen Perspektiven betrachtet.

Anfang Februar habe ich eine Rezension über Hans Rosling´s Buch „Factfulness“ gepostet (https://thomashengst.com/2020/02/06/lernen-die-welt-so-zu-sehen-wie-sie-wirklich-ist-eine-rezension/). Unter anderem habe ich darin als Zusammenfassung folgendes geschrieben:

Viel zu viele Menschen haben ein völlig verzerrtes und viel zu negatives Bild, was nicht nur ihr Denken nachteilig beeinflusst, sondern auch ihr Handeln. Dazu gehören nicht nur Politiker, Wirtschaftsbosse, Journalisten, Aktivisten, Lobbyisten, Wissenschaftler oder andere sogenannte Eliten, die unsere Meinungen scheinbar häufig entscheidend beeinflussen, sondern wir alle – besonders auch diejenigen, die zu bequem sind, sich um Fakten zu kümmern und die großen und kleinen Probleme der Welt und des Alltags mit wesentlich mehr Sorgfalt zu untersuchen und Schlussfolgerungen erst dann zu ziehen, wenn man sich ein möglichst vollständiges Bild von einem Thema gemacht hat. Jeder, der zum Beispiel in unserer Demokratie das Recht hat zu wählen oder dieses Recht gern hätte, hat auch die Pflicht, sich umfassend zu bilden, sich um Fakten zu kümmern und seinen Horizont zu erweitern. Das ist nicht damit getan, wenn man sich einfach den Meinungen anschließt, die den eigenen Interessen und Vorlieben oder momentanen Erkenntnisstand (und wenn diese noch so kurzsichtig oder unvollständig sind) am nächsten kommen.

Die COVID-19 Krise ist immer noch eine Gleichung mit vielen Unbekannten, weshalb es auch nicht verwundert, dass es ein wachsendes Durcheinander der unterschiedlichsten Meinungen gibt. Was mich aber verwundert und auch besorgt, ist die zunehmende Polarisierung der öffentlichen Diskussion auf der Basis von Dingen, die wir noch gar nicht ausreichend einschätzen können, ihr Abgleiten vom Rationalen ins Emotionale (so verständlich das auch bei den vielen unweigerlichen Auswirkungen sein mag) und die öffentliche Missachtung von Personen, die die Verantwortung tragen, Entscheidungen nicht nur für sich selbst, sondern für ein ganzes Land zu treffen. Alle zehn, von Rosling in seinem Buch adressierten, fehlerhaften Instinkte werden zur Zeit in den privaten und öffentlichen Diskussionen reichlich bedient.

Bei vielen Leuten, die Meinungen kolportieren, die in der Regel nur einen eher geringen Teil des Gesamtproblems abbilden, muss man froh sein, dass sie keine größere Verantwortung tragen oder auch nicht tragen wollen. Es lässt sich leicht kommentieren und kritisieren, wenn man auf den Zuschauerrängen sitzt und nicht die Last weitreichender Entscheidungen zu tragen hat.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch viele hochqualifizierte Fachleute, deren Expertise hoffentlich angemessen in die Entscheidungsprozesse einbezogen wird. Die Hauptlast liegt aber bei den Menschen, die über das große Ganze zu entscheiden haben. Mit denen möchte ich im Moment nicht tauschen. Ich bescheinige ihnen aber, dass sie bisher in unserem Land einen respektablen und guten Job gemacht haben – entgegen allen Anfeindungen, persönlichen Beleidigungen und Herabwürdigungen. Sie verdienen unsere Unterstützung und Compliance. Da es unmöglich ist, es jedem recht zu machen, braucht es einen konstruktiven, kultivierten Meinungsaustausch und kein stereotypes Bashing.

Wenn wir also bemerken (was wir hoffentlich ab und zu tun), dass unsere eigene Kritik unsachlich und destruktiv wird, sollten wir schleunigst versuchen, uns in die Lage eines Entscheidungsträgers hineinzuversetzen. Verantwortung macht den Unterschied. Was würden wir beim gegenwärtigen Informations- und Datenstand tun? Wie würden wir Risiken gegenüber unterschiedlichen Interessenslagen abwägen? Wie gehen wir mit gesellschaftlichem, medialem und zeitlichem Druck um? Auf wen sollten wir hören? Auf wen sollten wir lieber nicht hören? Wem könnten wir vertrauen, wem nicht? Wie sollten wir internationale, politische und wirtschaftliche Implikationen berücksichtigen und viele, viele Punkte mehr. Wer sich diesen Fragen mal ernsthaft stellt und Tiefgang zulässt, dem wird es, wen er oder sie mit einer gesunden Portion Vernunft ausgestattet ist, ganz schnell dämmern, wie komplex das Problem ist. Ich würde mir nicht anmaßen, diese Komplexität voll erfassen zu können und es erstaunt mich, wie viele Leute mit mäßigem Überblick sich das zutrauen – selbstverständlich ohne Verantwortung zu übernehmen.

Es bleibt zu hoffen, dass das Verhalten unserer Gesellschaft weiterhin von Vernunft, Verantwortungsbewusstsein, Solidarität und der Wahrung des sozialen Friedens bestimmt wird und denen, die das ignorieren, ganz klare Grenzen gesetzt werden. Ich hoffe auch, dass die Verantwortungsträger die Kraft aufbringen, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln und dass sie nicht den Stimmen nachlaufen, die am lautesten schreien oder den größten Druck ausüben. Ich stelle mir das nicht leicht vor. Dafür braucht es Haltung und Prinzipientreue. Vor allem braucht es aber auch eine breite Unterstützung – jetzt und besonders auch dann, wenn wir gemeinsam die Folgen der Pandemie beseitigen müssen. Eine gespaltene Gesellschaft wird dafür viel länger brauchen.

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