39 Jahre

Kürzlich begingen wir den Start unserer gemeinsamen Lebensreise vor 39 Jahren.

Esther machte den ersten Schritt ca. zwei Jahre vorher. Ich war Sänger und Gitarrist in einer Band. Wir spielten bei einer Kirchentagung für junge Erwachsene in Dresden. Nach dem Tanzabend kam sie zu mir und bat mich, ihr einen Liedtext zu schicken. Der Text war natürlich nur Nebensache. Es begann vielmehr eine außergewöhnliche Briefkorrespondenz, die mit der Zeit immer intensiver wurde. Wir tauschten unzählige wertvolle Gedanken aus, die Bände füllen würden und mit der Zeit wurde uns klar, dass wir füreinander bestimmt sind.

Ich werde oft gefragt, wie man es schafft, 39 Jahre verheiratet zu sein. Nun, die Frage an sich sagt vieles darüber aus, wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt hat. Was einst normal war, ist jetzt außergewöhnlich. Es gibt darauf auch keine Patentantwort, dafür aber eine Vielzahl von großen und kleinen Dingen, Überzeugungen, Einsichten, Erlebnissen und Erfahrungen, die unser Leben begleitet haben.

Einige davon sind von grundlegender Bedeutung:

Wir hatten von Anfang an gemeinsame Ziele und Träume. Dazu gehörte, eine Familie zu bauen, Kinder zu erziehen und die Bereitschaft, diesem Vorhaben einiges an Anspruchsdenken unterzuordnen.

Wir haben den Entschluss gefasst, unserem Leben ewige Perspektiven zu geben und alles dafür zu tun, damit diese Perspektiven Wirklichkeit werden können. Das betrifft vor allem unsere Beziehung mit unserem Himmlischen Vater und Jesus Christus, unser Wirken in diesem genialen Plan der Erlösung und unsere Treue zu den Bündnissen, die wir bei unserer Eheschließung im Tempel in Freiberg und auch schon vorher mit Gott geschlossen haben.

Bevor wir geheiratet haben, haben wir beschlossen, aufeinander acht zu geben und nicht zuzulassen, dass eine ungesunde Ich-Bezogenheit, das Wir gefährden wird.

Diese Konstanten haben uns bisher durch Höhen und Tiefen, Erfolge und Misserfolge, Glück und Leid, Freude und Enttäuschungen begleitet und uns geholfen, immer wieder Lösungen zu finden, unsere Ziele zu verfeinern und unsere Gefühle füreinander zu stärken. Liebe ist in großem Maße eine Funktion der Mühe und Hingabe, die man dafür aufwendet.

Wir sind noch lange nicht am Ende unseres Weges. Wir haben mit unseren Perspektiven erst eine verhältnismäßig kurze Strecke zurückgelegt. Es ist faszinierend darüber nachzusinnen. Wir mögen es, über die Zukunft zu sprechen – die nahe, die ferne und die ganz ferne Zukunft. Wir denken gern nach Vorne.

In den 39 Jahren haben wir viele Situationen erlebt oder durchlebt, die geeignet sind, Ehen zum Scheitern zu bringen.

Da ist zum einen eine gewisse Desillusionierung, die nach einiger Zeit einsetzt, wenn die frische Liebe mit Gewohnheiten und Problemen des Alltags konfrontiert wird und man sich entscheiden muss, ob man gewillt ist, für die Ehe zu arbeiten.

Kinder verändern das Leben radikal. Wir wollten Kinder und haben sie in einer Zeit bekommen, die turbulent und mit vielen Unsicherheiten behaftet war. Wir haben gelernt, erhebliche Opfer zu bringen und Verantwortung zu übernehmen. Hat uns das auf lange Sicht geschadet? Nein! Hat es nicht. Es hat uns entscheidend geprägt und uns Dinge gelehrt, die man nirgendwo anders lernen kann. Wir haben gelernt, vorbehaltlos zu lieben, trotz vieler Schwierigkeiten und Probleme. Unsere drei Kinder und ihre Familien sind von unschätzbarem Wert. Zwei weitere haben wir leider verloren, aber wir freuen uns auf sie nach diesem Leben.

Auch wir hatten Lebensphasen, in denen Wünsche und Ansprüche nicht mit der Realität zusammen gepasst haben. Es kann hart sein, die notwendigen Kurskorrekturen vorzunehmen. Man kann Sklave seiner Ansprüche werden und dafür einen hohen Preis zahlen oder man schafft es, sich an seine höheren oder nachhaltigeren Ziele zu erinnern und sie weiter mit viel Geduld und Beharrlichkeit zu verfolgen.

Eine Lehrerin hat meiner Frau ins Schulzeugnis geschrieben: „Esther beendet mit Beharrlichkeit jede begonnene Aufgabe.“ Damit war sie in unserem Leben der entscheidende Faktor und hat meine Kreativität und meine vielen Ideen in realistische Bahnen gelenkt. Für uns war diese Kongenialität sehr wichtig. Wir mussten sie uns aber erarbeiten.

Als wir Mitte/Ende dreißig waren, begann eine Lebensphase, in der die Belastungen größer wurden. Die Kinder kommen in das Teenageralter, was zu vielen Konfliktsituationen führt. Im Beruf kommt man plötzlich für Führungsaufgaben in Frage und die Verantwortung wächst. Dazu kommen noch viele andere Verpflichtungen. Bei uns war es meine Berufung in den Vorstand eines Unternehmens, weltweite Reisetätigkeit und kurz danach in der Kirche die Berufung als Pfahlpräsident. Für uns stellte sich eine entscheidende Frage: Wollen wir unsere Herausforderungen mit Gott oder ohne Gott bearbeiten? Wir haben uns für Gott entschieden und während dieses extrem anstrengenden Lebensabschnittes, die Hand des Herrn in unserem Leben auf wunderbare Weise sehen und fühlen können. Wir haben Dinge bewerkstelligen können, die vorher unmöglich schienen und sind zusammen gewachsen.

Jeder muss diese Entscheidungen selbst treffen. Es ist aber so, dass in Zeiten von Belastungsspitzen und sich ändernden Herausforderungen (heute nennt man es gern midlife crisis), vieles kaputt gehen kann, wenn man die Orientierung verliert und die Steuerung des Lebens an den Mainstream oder Ratgeber abgibt, die vielleicht bequeme, dafür aber wenig nachhaltige Botschaften haben. Jede Beziehung kommt irgendwie im Leben an solche Punkte. Die Kräfte, die zu Trennungen und allen damit verbundenen Traumata führen, können sehr mächtig sein.

Sie können Abwärtsspiralen in Gang setzen, die Menschen von ihren Lieben und Gott entfernen. Zuerst geht das ganz langsam und allmählich in kleinen Schritten, aber wenn man nichts dagegen unternimmt, wird die Geschwindkeit und Intensität zunehmen, bis sich Empfindungen so stark geändert haben, dass es zum Bruch kommt. Im Gegensatz dazu gibt es auch Aufwärtsspiralen, die uns einander und Gott näher bringen. Sie erweitern unsere Sicht in ebenso kleinen Schritten. Tut man beständig die Dinge, die es für diesen Prozess braucht, werden die Schritte größer und Erkenntnise und Gefühle immer stärker.

Jede Beziehung ist natürlich anders. Die Ziele und viele andere Dinge unterscheiden sich. Probleme und Herausforderungen unterscheiden sich. Aber es gibt Wahrheiten, die immer bestehen bleiben. Sie lassen sich nicht ohne Folgen durch Beliebigkeit ersetzen. Wir haben zwar die Freiheit zur Beliebigkeit, aber die Folgen können wir nicht wählen.

Immer wenn wir bemerken, dass etwas unsere Ehe angreift, versuchen wir innezuhalten, unser Verhalten zu reflektieren und zu schauen, ob wir noch auf dem Weg sind, der uns zu unseren größten Zielen führt. Für uns ist das Gottes Plan der Erlösung und des Glücklichseins. Wir haben dafür nichts ebenbürtiges gefunden und lassen uns davon leiten.

Selbstverständlich haben wir über die Jahre Eigenheiten entwickelt, die dem jeweils anderen manchmal nicht gefallen. Es ist ein Zeichen beständiger Liebe, wenn man damit geduldig und verständnisvoll umgeht, aber auch nicht vergisst, an sich selbst zu arbeiten.

Ich freue mich auf die Zukunft mit Esther, die ich sehr liebe. Wir sind gespannt, was wir gemeinsam noch erleben werden.

Hinterlasse einen Kommentar